Eine Sage vom Rheinfall bei Schaffhausen in der Schweiz

An einem schönen lauen Sommerabend ruderte ein junger Fischer zum Ufer oberhalb des Rheinfalls. Sein Fang war gut gewesen und der Fischkasten reichlich gefüllt. Zufrieden machte er sein Boot an Land fest. Doch bevor er nach Hause ging, wollte er sich noch kurz ausruhen. Müde setzte er sich auf den Boden seines Bootes.

Verträumt betrachtete er die Wasseroberfläche, auf der sich die Lichtstrahlen spiegelten. Er genoss die wohltuende Wärme der Abendsonne und das leichte Schaukeln des Bootes. Es dauerte nicht lange und der junge Mann fiel in einen tiefen Schlaf, der von angenehmen Träumen begleitet wurde.

Während er schlief, bemerkte er nicht, dass sich die Leinen langsam lösten. Sein Boot entfernte sich mehr und mehr vom Ufer, bis die Strömung es in der Mitte des Flusses erfasste. Immer schneller trieb es auf den Rheinfall zu. Auch als das Wasser unruhiger wurde und das donnernde Geräusch der herabstürzenden Wassermassen immer lauter zu hören war, wachte der junge Mann nicht auf. Er schlief fest und träumte selig.

Rheinfall mit Schloss Laufen bei der Sage vom Rheinfall

Kurz voor dem Wasserfall stieß das Boot gegen einen aus dem Wasser ragenden Felsen. Da schreckte der noch schlaftrunkene Fischer hoch. Mit Entsetzen sah er, dass das Wasser um ihn herum brodelte und weißer Schaum aufstieg. Noch bevor er richtig begriff, was geschah, blickte er mit Grauen in einen Abgrund zischender Wassermassen. Voller Panik umklammerte er noch ein Brett, bevor sein Boot in die Tiefe stürzte.

Ohrenbetäubend laut brüllte die brodelnde Flut und die peitschende Gischt probierte, seinen Körper zu packen. Fast ohnmächtig vor Angst hielt er sich fest. Die Sekunden kamen ihn wie eine Ewigkeit vor.

Doch plötzlich war es still. Noch immer starr vor Angst blickte der Fischer über den Rand seines Kahns. Zu seinem großen Erstaunen befand er sich in dem ruhigen Gewässer unterhalb des Wasserfalls. Inmitten einer grünen Oase trieb er nun friedlich dahin.

Als er erkannte, dass er lebte und gesund war, durchströmte ihn ein noch nie gekanntes Glücksgefühl. Erleichtert jauchzte und lachte er laut auf. Seine Freude, dem Rheinfall unversehrt entkommen zu sein, konnte er nicht zurückhalten.

Unter dem Rheinfall bei der Sage vom Rheinfall und dem Fischer

Ein paar Männer am Ufer wunderten sich sehr über das Verhalten des jungen Mannes. Auch konnten sie sich nicht erklären, wie er mit seinem Kahn an die Stelle unterhalb des Wasserfalls gekommen war.

Als der Fischer überglücklich ans Ufer kam, bestürmten ihn die Männer mit Fragen. Er erzählte ihnen wortreich und aufgeregt, was geschehen war. Als sie dann gemeinsam ins Wirtshaus gingen, wollten die Leute auch hier die unglaubliche Geschichte ganz ausführlich hören.

Unter dem Einfluss des Weines prahlte der Fischer immer mehr mit dem, was er erlebt hatte. Da tauchte ein Fremder unter den Schaulustigen auf. Er stellte sich lachend vor den jungen Mann und meinte herausfordernd, dass er es sich sicher nicht trauen würde, die Fahrt ein zweites Mal zu unternehmen. Falls doch, würde er ihm 100 Gulden zahlen.

Nach diesen Worten wurde es totenstill im Wirtshaus. Die Anwesenden blickten den Fremden erschrocken und mit stummen Blicken an. Einige schüttelten sogar den Kopf, als wollten sie nicht glauben, was sie gerade gehört hatten.

Der Fischer, dessen Gemüt immer noch erhitzt war, fühlte sich zutiefst gekränkt. In seiner jugendlichen Unbekümmertheit antwortete er, ohne nachzudenken, dass er das wohl tun würde. Warum sollte ihm nicht noch einmal etwas gelingen, was schon einmal und fast im Schlaf so gut geglückt war?

Vor allem die Älteren unter den Männern versuchten eindringlich, den Fischer davon abzubringen. Er solle froh sein, dass er die Fahrt so gut überstanden habe und sein Glück nicht noch einmal herausfordern. Doch trotz all dieser Versuche blieb der junge Mann dabei, es noch einmal Mal zu wagen.

Am nächsten Morgen legte der Fischer mit seinem Boot oberhalb des Rheinfalls ab. Eine Vielzahl von Leuten aus der Umgebung hatte sich eingefunden, um zu sehen, was passieren würde. Ihre Mienen waren ernst und sie schwiegen oder flüsterten nur ein paar Worte. Der Fremde war der einzige, auf dessen Gesicht sich ein zufriedenes Lächeln abzeichnete.

Der junge Mann ruderte auf den Rhein hinaus und versuchte, so schnell wie möglich in die Mitte des Flusses zu gelangen. Dort angekommen, wurde er schnell von der Strömung erfasst und mitgerissen. Je näher er dem Rheinfall kam, desto stärker wurde er in seinem Boot von den Wellen hin und her geworfen. Die Fahrt ging dabei immer schneller.  

Schaffhausen in der Schweiz bei der Sage vom Rheinfall

Der Fischer bekam es mit der Angst zu tun. Er erkannte, dass er in höchster Gefahr schwebte. Verzweifelt versuchte er, sein Boot durch die reißenden Wassermassen zu steuern, um wieder an das sichere Ufer zurückzukehren. Doch so sehr er sich auch bemühte, das Boot mit dem Ruder unter Kontrolle zu bekommen, es gelang ihm nicht. Es war absolut aussichtslos.

Durch die hoch aufspritzende Gischt sah er die Felsen an sich vorbeischnellen. Der Höllenlärm des Wasserfalls kam immer näher. Dann blickte er in einen tosenden, brodelnden Abgrund. In Todesangst klammert er sich wieder an sein Boot, als dieses wie ein Pfeil den Rheinfall hinabstürzte.

Niemand hat den Fischer je wieder gesehen. Nicht einmal seine sterblichen Überreste oder Teile seines Bootes wurden gefunden. Noch lange suchte man den Rhein nach ihm ab, aber nichts von ihm war zu finden. Auch der Fremde, der den jungen Mann so kaltblütig herausgefordert hatte, war wie vom Erdboden verschluckt.

Doch seit diesem Vorfall, so erzählt man sich, sei in manchen mondhellen Nächten ganz schemenhaft ein Kahn mit einem Mann zu sehen. Dieser gleitet den Rheinfall hinab und verschwindet dann in den Fluten.

Quelle: Frei nacherzählt auf Basis von „Schweizer Sagen und Heldengedichte“ von Meinrad Lienert, Stuttgart 1915


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