Der nächtliche Wanderer – eine Sage aus Karlsruhe

In der Innenstadt von Karlsruhe, unweit des Durlacher Tors, befindet sich das Zeughaus. In dem Gebäudekomplex aus dem 18. Jahrhundert sind heute ein Institut der Universität und Archive untergebracht.
Früher diente das Militärzeughaus über mehr als 100 Jahre seiner Bestimmung entsprechend als Magazin für Waffen, Munition und sonstige militärische Ausrüstung. Aus dieser Zeit, als das Gebäude den badischen Truppen gehörte, stammt auch die Überlieferung, die noch heute so manchem einen kalten Schauer über den Rücken jagt.
Fast jede Nacht, pünktlich zur zwölften Stunde, bog damals ein langer, ganz in Schwarz gehüllter Mann um die Ecke des Zeughauses. Die Wachmänner erzitterten jedes Mal vor Furcht, wenn sie die unheimliche Gestalt erblickten, deren Gesicht nicht zu erkennen war. Sie hielten den Atem an und rührten sich nicht von der Stelle, bis die geisterhafte Erscheinung an ihnen vorbeigeschlurft war. Erst als sie ihn nicht mehr sahen, wagten die Soldaten sich wieder zu bewegen. Um nicht als Feiglinge zu gelten und verspottet zu werden, sprachen sie nicht über die unheimliche Begegnung und bewahrten das Geheimnis gut für sich.

Eines Tages wurde ein neuer Wächter in die Truppe aufgenommen. Er war jung und überaus motiviert. In seiner ersten Nacht trat er seinen Dienst wie vereinbart an und patrouillierte vor dem Gebäude, das er zu bewachen hatte. Die alte Garde saß derweil in der warmen Schänke. Sie hatten dem Neuankömmling nichts von der unheimlichen Gestalt erzählt und so hatte dieser keine Ahnung, was sich zu vorgerückter Stunde regelmäßig ereignete.
Der junge Soldat nahm seine Aufgabe inzwischen sehr ernst und marschierte kerzengerade vor dem Zeughaus auf und ab. Doch je dunkler die Nacht wurde und je mehr sonderbare Geräusche zu hören waren, desto mulmiger wurde ihm.
Genau um Mitternacht vernahm er schlürfenden Schritte, die immer näher kamen. Nach einiger Zeit erkannte er eine lange schwarze Gestalt, deren Kopf von einer großen Kapuze verhüllt war. Er rief ihr zu, unverzüglich stehen zu bleiben, sonst würde er schießen. Doch die unheimliche Erscheinung hörte nicht und kam immer näher auf ihn zu. Der junge Wächter wurde nun von unendlicher Furcht ergriffen. In seiner Panik sah er keine andere Möglichkeit, als die Geistererscheinung mit einer Ladung Schrott zu stoppen. Im selben Augenblick, als der Schuss sich löste, spürte der junge Mann, wie er mit übermenschlichen Kräften gepackt und hoch in die Luft gehoben wurde, um sofort wieder mit großer Wucht fallengelassen zu werden.
Die anderen Wachsoldaten, durch den Lärm aufgeschreckt, eilten herbei. Als der junge Mann in ihren Armen wieder zu sich kam, war er noch ganz starr vor Schreck. Doch von der schwarzen Gestalt war nichts mehr zu sehen. Nur der verdrehte Lauf seines Gewehres zeugte noch von dem Geschehenen.
Bis heute wird erzählt, dass in klaren Mondnächten bei dem Zeughaus eine unheimliche Erscheinung gesehen wird, die langsam und stetig ihren Weg geht. Wenn man sich aber ruhig verhält und sie ziehen lässt, kann einem eigentlich nichts passieren.
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