Kennst du die Geschichte vom fliegenden Holländer aus den Amsterdamse Volksverhalen?
Ein kurzer Hintergrund
Diese Sage geht bis in das goldene Zeitalter, de Gouden Eeuw, der Niederlande zurück. Mit dieser Periode wird eine rund hundertjährige Zeitspanne vom 17. bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts bezeichnet. Wirtschaftliche Grundlage für diese Blütezeit war der Erfolg der VOC, der Vereinigten Ostindischen Kompanie. Durch sie stieg die Niederlanden zu einer weltumspannenden See- und Handelsmacht auf. Der rege internationale Handel stimulierte die ökonomischen Entwicklung in den Städten wie auch die Kunst und die Wissenschaft. Berühmte Vertreter dieser Epoche sind Rembrandt, Vermeer und Frans Hals.
Die Sage
Seit Tagen wütete ein starker Sturm. Er peitschte die Wellen an die Küste und ließ das Wasser gegen die Kaimauer donnern, wo es in die Höhe schoss. Zu ihrer eigenen Sicherheit blieben alle Schiffe im Hafen. Die Mannschaften, die doch noch auf einigen Schiffen an Bord geblieben war, trauten sich noch nicht einmal an Deck.
Es gab nur einen Kapitän, den es trotz dieser extrem widrigen Wetterumstände schwer an Land hielt und der schnellstmöglich zurück auf das offene Meer wollte. Er konnte es nicht erwarten, seine geplante Reise nach Indien anzutreten. Die See war eigentlich sein wirkliches Zuhause, selbst wenn es noch so stürmte, regnete oder hagelte. Er hatte er einen ausgezeichneten Ruf als Kapitän und kannte beinahe alle Häfen der Welt. Seine Mannschaft gehorchte und folgte ihm treu, da sie wussten, was für ein hervorragender Seemann er war.
Doch jetzt war er dazu verdammt, vor Anker zu bleiben. Die anderen Seeleute redeten ihm gut zu: „Es wäre der absolute Wahnsinn, nun aufs Meer zu fahren. Der reine Selbstmord! Du würdest noch nicht einmal aus dem Hafen kommen, sondern sofort am Kai zerschellen!“
Natürlich stellte ein Kapitän, wie er es war, das gar nicht in Frage und erkannte die Gefahr nur zu gut. Doch je länger er warten musste, desto unruhiger wurde er. Grimmig blickend stand er allein auf dem Vorderdeck seines Schiffes und verfluchte immer heftiger den Sturm.
Nach ein paar Tagen siegte seine Ungeduld über den gesunden Menschenverstand. „Ganz egal, wie das Wetter ist, wir stechen morgen in See!“, rief er ungehalten zu seinen Männern. Die Matrosen hielten sofort inne und kein Laut war mehr von ihnen zu hören. Mit besorgter Miene schauten sie einander an. Niemand traute sich etwas zu sagen.
Der Steuermann räusperte sich, suchte nach Worten und zögerlich brachte er hervor: „Morgen ist Ostersonntag. An diesem heiligen Tag wird niemals ausgelaufen. An diesem Festtag zu Ehren von Christus können wir nicht ablegen!“
Die Mannschaft atmete erleichtert auf und nickte zustimmend. Der Kapitän lief jedoch rot vor Wut an und schrie: „Ostern oder kein Ostern, Sturm oder Windstille, ich segle, wenn ich es will!“
Am nächsten Morgen rief er die Mannschaft zeitig an Deck. Er befahl, die Segel zu hissen. Der Steuermann probierte nochmals, etwas zögerlich, seine Bedenken zu äußern. Doch der Kapitän negierte ihn vollständig. So kletterten die Matrosen grölend in die Takelage und bereiteten alles zum Ablegen vor. Sie hatten Vertrauen und waren sich sicher, dass ihr Kapitän sie niemals unnötig in Gefahr bringen würde. Dafür war er einfach zu erfahren und verantwortungsbewusst.
Der Kapitän des danebenliegenden Frachtschiffs rief noch fragend zu ihnen herüber, ob sie wirklich bei diesem Sturm und zudem noch an Ostern auslaufen wollten: „Bei diesem Sturm werdet ihr sofort zerschellen! Außerdem bringt es Unglück, am heiligen Ostersonntag abzulegen!“ „Das werden wir ja erst einmal sehen! So ein Unsinn! Wir stechen heute in See! Basta!“, schrie der Kapitän zurück.
Die Matrosen fingen durch den Orkan nur einzelne Wortfetzen des Gespräches auf. Aber sie waren sich sicher, den besten Schiffsführer zu haben, der genau wusste, was er tat. Zudem war ihr Schiff eines der mächtigsten und prächtigsten seiner Art. Was sollte also passieren? Aufkommende Bedenken schoben sie schnell zur Seite und ließen sich von der Euphorie ihres Kapitäns anstecken, endlich wieder über die Meere zu segeln.
Der Bootsmann kam melden, dass alles zur Abfahrt bereit war. In der Ferne hörten sie noch die Osterglocken. Vor ihnen brauste das Meer und die Segel blähten sich auf. Ruckartig kam das Schiff in Bewegung.
Am Pier hatten sich inzwischen zahlreiche Menschen versammelt. Sie schauten ungläubig zu, was passierte. Alle waren sich sicher, dass diese Reise nur eine in den Tod sein konnte. Etwas anderes war kaum denkbar.
Plötzlich geschah etwas Ungewöhnliches. Obwohl der Himmel grau verhangen und nirgends auch nur ein Sonnenstrahl zu erspähen war, leuchteten die Segel blutrot auf. Der Rumpf, welcher eigentlich weiß gefärbt war, veränderte plötzlich in ein Pechschwarz. Zusätzlich hing eine Brandluft über dem Hafen, obwohl niemand ein Feuer gemacht hatte.
Das Segelschiff nahm Kurs auf das offene Meer. Nach kurzer Zeit wurde es noch einmal auf einer hohen Welle gesehen, welche den Dreimaster schnell mit sich wegtrug. Dann war nichts mehr zu erspähen, außer dem tosenden Wasser. Die Menschen am Hafen kehrten in ihre Häuser zurück und einige von ihnen sandten wohlgemeinte Gebete zum Himmel.
Das Schiff, das hier den Hafen verlassen hatte, kam niemals in Indien an und kehrte auch niemals in seinen Heimathafen zurück. Es kamen auch nie Briefe der Mannschaft bei ihren Familien zuhause an und keine Rederei empfing irgendeine Nachricht des Schiffes. Es wurden auch keine Wrackstücke gefunden oder Leichen an Land gespült.
Mit der Zeit vergaßen die Menschen das Schiff. So vergingen Monate und Jahre. Es war beinahe so, als verschluckte die Zeit mehr und mehr die Erinnerung an das Schiff und seine Mannschaft.

Doch dann passierte ein merkwürdiger Vorfall. Von einem Handelsschiff aus, welches von Ost-Indien über das Kap der Guten Hoffnung zurück in die Heimat segelte, sah man plötzlich ein Schiff aus den Wolken auftauchen. Der Matrose in dem Krähennest, der es als erster erblickte, erstarrte und wurde leichenblass, bevor er die Warnung an die anderen weitergab.
Die fast vollzählige Mannschaft des Handelsschiffes blickte mit Angst und Grausen zu dem schwarzen Schiff mit den blutroten Segeln. Kein Mensch war an Deck zu sehen. Stille breitete sich aus. Nur die Schreie einer schwarzen Krähe, die um den Hauptmast flog, waren zu hören.
„Ein Geisterschiff“, rief einer der Matrosen. Ein anderer Matrose holte schnell den Kapitän. Als dieser jedoch an Deck kam, war das Schiff schon wieder verschwunden. Der Kapitän lachte die Matrosen aus, verringerte die Menge des auszugebenden Rums und befahl weiterzuarbeiten.
Am nächsten Tag trieb ein furchtbarer Sturm das Handelsschiff vom Kurs ab und ließ es an den vorgelagerten Klippen einer Insel zerschellen. Ein älterer Matrose, einer der wenigen Überlebenden, erzählte bei seiner Ankunft in Amsterdam von dem Zusammentreffen mit dem gruseligen Geisterschiff.
Immer mehr Unglücksberichte erreichten jetzt die Heimathäfen. Das Geisterschiff erschien mit seinen blutroten Segeln immer in der Nähe des Kaps der Guten Hoffnung. Kurz nach seinem Auftauchen verschwand es genauso plötzlich wieder, wie es gekommen war. Jedes Schiff, von welchem aus das Geisterschiff gesehen wurde, brannte kurz danach aus oder zerschellte an den Klippen.
Die Redereien bekamen dadurch immer größere Probleme, noch Schiffer und Matrosen zu finden, die die Route über das Kap der Guten Hoffnungen wagten. Die meisten Kapitäne mieden die Gegend, umsegelten sie oder probierten einfach, andere Routen zu finden.
Einige Unerschrockene wagten jedoch weiterhin die Überfahrt. Eines Tages passierte es, dass ein Kapitän der Compagnie sah, dass auf dem Geisterschiff sehr wohl eine Mannschaft war. Das sich nähernde Schiff hatte die holländische Flagge am Mast und er konnte selbst den Kapitän am Steuerruder erkennen.
Der Kapitän der Compagnie blieb auf unveränderten Kurs und ging davon aus, dass das ihm entgegenkommende Schiff ausweichen würde. Aber das geschah nicht. Das Schiff behielt seinen Kurs und steuerte direkt auf sie zu. Die Mannschaft warnte laut schreiend und auch der Kapitän bereitete sich auf einen furchtbaren Zusammenstoß vor. Das Geisterschiff segelte jedoch einfach und widerstandslos durch das Handelsschiff hindurch. Alles was die Mannschaft fühlte, war eine eiskalte Windböe, als sich die beiden Schiffe kreuzten.
Regungslos und stumm blickten die Matrosen und ihr Kapitän dem Schiff hinterher. Es schien, als ob das Geisterschiff in einem blauen Licht schwebte. Auch seine Mannschaft stand wie festgenagelt und in gespenstisches Licht eingehüllt schweigend an Bord.
„Es war ein Holländer. Das habe ich an der Flagge gesehen.“, murmelte plötzlich der Steuermann des Handelsschiffes. „Der fliegende Holländer“, entgegnete daraufhin flüsternd ein anderer Matrose. Und anders als erwartet, blieb ihr Schiff glücklicherweise von weiteren Unglücken verschont.
Die Jahre vergingen und der fliegende Holländer durchkreuzte weiterhin das Gebiet rund um das Kap der Guten Hoffnung. Der Kapitän des Geisterschiffes hatte zu Lebzeiten selbst einmal gesagt: „Ich will für alle Ewigkeit fahren, ich werde für immer die Meere durchkreuzen!“ So kam es auch – dabei führte er sein Schiff und seine Mannschaft ins Verderben. Man erzählt sich auch, dass der Mannschaft noch nicht einmal bewusst ist, dass sie als Geister seit Jahrhunderten über das Meer irren.
Es ist zu hoffen, dass der fliegende Holländer doch noch seine Ruhe finden wird. Vielleicht ist das auch schon geschehen, da man ihn schon länger nicht mehr gesehen hat.
Frei nacherzählt aus dem Buch Amsterdamse volksverhalen, uitgeverij HMP, Amsterdam 2002
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