Die Sage vom armen Spielmann aus Mainz

Ein armer alter Spielmann zog durch die Straßen von Mainz. Ihm war kalt und er hatte großen Hunger. Auch wusste er nicht, wo er die Nacht schlafen sollte. Schwermütig klemmte er seine Geige noch fester unter den Arm und versuchte seine klammen Finger in den Hosentaschen zu wärmen, was leider nicht half.

Wehmütig dachte der Alte an frühere Zeiten zurück. Wie gut war es ihm damals gegangen! Jung und gesund zog er von Stadt zu Stadt. Die Leute liebten seine Musik. Sobald er zu spielen begann, bildete sich eine Menschentraube um ihn. Seine Zuhörer lauschten gespannt und wenn er lustige Lieder spielte, schwangen sie selbst das Tanzbein.

Verglichen mit damals, wie niederschmetternd war das Leben jetzt. Seine Stimme war gebrechlich geworden, wie er selbst. Niemand interessierte sich mehr für seine Musik. Bei diesen Erinnerungen liefen ihm die Tränen über das Gesicht. Langsam schlürfte er mit gesenktem Blick den Rhein entlang. Plötzlich wurde er durch den leisen Klang einer Kirchenglocke aus seinen Gedanken gerissen.

Er schaute um sich und sah die kleine Kirche, von welcher der Ton gekommen war. Noch mit sich hadernd, betrat er das Gotteshaus. Vor dem Altar blieb er stehen und betrachtete mit großer Bewunderung das goldene Bildnis der Jungfrau Maria. Bei diesem Anblick quoll sein Herz über und wimmernd erzählte er ihr von all seinem Schmerz. Noch während er sprach, spürte er, wie die schwere Last seines Daseins mehr und mehr von seinen Schultern fiel.

Aus Dankbarkeit für den gespendeten Trost setzte er sein Geige an und spielte. Die Töne waren harmonisch und lieblich anzuhören. Der alte Mann spielte zum Lobpreis seine schönsten und melodischsten Lieder. Als er geendet hatte, wollte er weiterziehen. Doch in diesem Moment warf die Heilige ihm einen ihrer goldenen Schuhe vor die Füße. Der Alte traute seinen Augen nicht. Zögernd nahm er den Schuh auf und dankte Maria unendlich oft.

Sein Hunger war so groß, dass er in die Stadt zurückkehrte. Um etwas zu essen kaufen zu können, bot er einem Goldschmied den Schuh zum Kauf an. Doch der Goldschmied traute dem alten Mann nicht. Wie war ein armer Spielmann zu solchem Reichtum kommen? Das konnte doch nur Diebesware sein! Die Nachricht von dem alten Mann mit dem goldenen Schuh verbreitete sich in Windeseile in der Stadt. Die Häscher hatten deshalb ein leichtes Spiel und packten ihn schnell.

Doch so sehr der Spielmann seine Unschuld beteuerte und so oft er die Geschichte auch erzählte, niemand glaubte ihm. Er sollte deshalb wie ein gemeiner Verbrecher am Strang sterben. Auf dem Weg zum Galgen kam der Gefangene wieder an dem Kirchlein vorbei. Da bat er seine Häscher um eine letzte Gunst. Er wollte nur noch einmal die Jungfrau Maria sehen und ihr ein Lied spielen dürfen. Sein Wunsch wurde ihm schließlich gewährt.

Da nahm der Alte erneut seine Geige und spielte in seiner Trauer ein herzzerreißendes Lied. Als er fertig war und mit der Geige unter dem Arm gehen wollte, warf ihm das Bild den anderen Schuh zu. Das Erstaunen der Menschen war groß, denn nun sahen sie mit eigenen Augen, dass der Spielmann die Wahrheit gesprochen hatte. Sie verneigten sich vor der Jungfrau und baten den alten Spielmann beschämt um Verzeihung.

Der alte Mann griff erneut zu seiner Geige und spielte zum Lob und zum Dank. Die Leute stimmten mit ihrem Gesang in das Lied ein. Von da an lebte der Spielmann in der Stadt und seine größten Sorgen waren für immer von ihm genommen.


Diese Sage ist eine Nacherzählung auf Basis des Gedichtes von Guido Görres.

Zu dem Gedicht Der arme Spielmann von Guido Görres


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