Der turmgekrönte Drachenfels

Dieses Gedicht ist eine Über­set­zung von Johann August Wilhelm Mommsen aus dem Jahre 1885.

Das Original-Gedicht stammt von Lord Byron The castled crag of Drachenfels (1816).

Weit droht ins offne Rhein­ge­fild
Der turm­ge­krönte Drachen­stein;
Die breite Brust der Wasser schwillt
An Ufern hin, bekränzt vom Wein,
Und Hügeln, reich an Blüt’ und Frucht
Au’n, wo Traub’ und Korn gedeihn,
Und Städten, die an jeder Bucht
Schim­mern im hellen Sonnen­schein:
Ein Zauber­bild! — Doch fänd’ ich hier
Zwie­fache Lust, wärst du bei mir!

Und manche holde Bäuerin
Mit Früh­lings­blumen in der Hand
Geht lächelnd durch das Eden hin;
Hoch oben blickt vom Felsen­rand
Durch grünes Laub das Räuber­nest,
Und manches Riff mit schroffer Wand
Und kühnen Bogens stolzer Rest
Schaut weit hinaus ins Vater­land;
Nur eines fehlt dem schönen Rhein: -
Dein Hände­druck, — ich bin allein!

Die Lilien, welche ich empfing,
Send’ ich zum Gruße dir ins Haus:
Wenn auch ihr Duft und Schmelz verging,
Verschmähe nicht den welken Strauß!
Ich hielt ihn hoch, ich weiß es ja,
Wann deine Augen bald ihn sehn,
Dann ist mir deine Seele nah’:
Gesenkten Hauptes wird er stehn
Und spre­chen: Von dem Tal des Rheins
Schickt diesen Gruß sein Herz an dein’s.

Der stolze Strom erbraust und fließt,
Der schönen Sagen Zauber­grund;
In tausend Windungen erschließt
Sich neue Schön­heit, reich und bunt;
Wer wünschte nicht mit Herz und Mund
Ein Leben lang zu rasten hier?
Kein Raum wär’ auf dem Erden­rund
So teuer der Natur und mir,
Wenn deine lieben Augen nur
Noch holder machten Strom und Flur.

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